Sonntag, 18. Dezember 2016

Nach Fest kommt ab

Von allen kalendarischen Selbstgeißelungen, die der Mensch sich jedes Jahr aufs Neue auferlegt, ist Weihnachten definitiv die perverseste!
Drei Tage lang setzt man sich ungeschützt dem sozialen Nahraum, auch bekannt als „Familie“ aus, lediglich spärlich bewaffnet mit einigen Überraschungsideen von der Amazon-Resterampe, diversen Sorten brennbaren Trinkalkohols und die Aussicht auf „Stirb langsam 1 und 2“  auf Pro7.
Mit einem einmonatigen Countdown wird auf den Wahnsinn hingearbeitet, gespickt mit hirnrissigen Ritualen, die irgendwo angesiedelt sind zwischen blinden Konsumgehorsam und mildem Fundamentalismus. Aber was will man auch erwarten von einer Religion, deren zentrale Figur ein Kuckuckskind ist? Den Höhepunkt der Weihnachtszeit bildet dann eben ein 3tägiges Konklave.
Und damit auch jeder die gleichen Voraussetzungen hat, um den perfekte Nährboden für einen gepflegten Amoklauf zu bereiten, müssen alle mitmachen.

Als Christ denkt man sich eben: Weihnachten, das ist doch was für alle!
Schließlich feiert der Juniorchef Geburtstag und da darf dann auch der Moslem, Jude und sogar der Atheist drei Tage lang die Mauken hochlegen.
Es bleibt auch nichts anderes übrig, denn am 24. Dezember ab 14 Uhr geht erstmal nichts mehr in diesem Land und schon gar nicht im  Einzelhandel, der jeden Dezember wieder zum Massenhandel mutiert, in dem auch noch die kitschigste Dämlichkeit von einem außer Kontrolle geratenen Kundenstrom mit sich gerissen wird.
Dabei verteidigt die Frau jedes Jahr aufs Neue spielerisch ihren Titel als Meisterin der Kapitalbindung. Gleichzeitig bricht wieder ihr Dekorations-Tourette aus, das sie zwingt zu zeigen, wie viel Plunder man auf 36 qm2 sozialen Wohnungsbau verteilen kann.
Man hat sich aber daran gewöhnt, denn so geht es zu jedem religiösen Feiertag, oder wenn die Jahreszeiten wechseln, oder wenn das launige Antlitz des Eisprungs sich erhebt.
Nutzt man derweil eben die Zeit für „Stirb Langsam 3“ auf Kabel 1.
Für Tiere muss dieses Weihnachten allerdings mehr als verstörend sein. Natürlich nicht für die, die in ihrer eigenen Pelle eingerahmt von Kartoffelsalat mit dabei sind – für die ist die Sachlage klar. Ich meine eher die, die Streicheleinheiten auf der anderen Seite des Tellerrandes kriegen. Schon mal überlegt, wie qualvoll das Fest der Feste für einen Hund sein muss? Ich meine, was soll unser vierbeiniger Gassikönig denn bitteschön denken, wenn die Menschen, bei denen er lebt, plötzlich einen Baum mitten ins Wohnzimmer stellen? 
Aber in diesem Jahr ist es übrigens nicht irgendein Baum – nein, es ist ein Co2-neutraler Bio-Baum, ohne Chemie großgezogen und nachhaltig gefällt.
Und an seinen Bio-Ästen kommt der neue Christbaumschmuck, gefertigt mit feinsten chinesischen Kinderhänden, dann aber auch so richtig gut zur Geltung.
Die Zeiten, in denen Mutti am Vorabend der Weihnacht noch das Lametta glatt bügeln musste sind ja Gott sei Dank vorbei.

Weihnachtsbaum und Stammbaum


Aber die tuntig behangene Ziertanne ist nicht der einzige Baum, der einem während der besinnlichen Tage Arbeit bereitet.
Auch der eigene Stammbaum muss zum Christfest hinabgestiegen werden, um huldvoll die Ehrengarde der Altvorderen in ihren Residenzen abzuschreiten.
Und wer richtig Pech hat, der muss am zweiten Weihnachtsfeiertag auch noch Oppa und Omma mit dranhängen – verpasst dafür leider „Stirb langsam 4“ auf Tele 5, kommt so aber wenigstens aus dem Haus und Essen gibt es ja auch umsonst. Das verträgt der eigene Magen-Darm-Trakt zwar nicht, weil es nach wie vor frei ist von den industriellen Zusätzen, an die man sich über all die Jahre mittlerweile so gewöhnt hat, aber bei der Befeuerung, der unsere Magenschleimhaut in den letzten Tagen ausgesetzt war, spielt das auch keine Rolle mehr. Dennoch ist das Essen schon der angenehme Teil der Veranstaltung, denn Ommas Gesprächsradius erstreckt sich leider nur von ihren offenen Beinen bis hin zu der Tatsache, daß bei Oppa die Granu Fink nicht anschlagen.
Derweil erfreut Oppa die Familie mit der Wiedergabe diverser Weltkriegsdokumentationen aus seiner üppigen DVD-Sammlung und ist derart konzentriert bei der Sache, dass jedem klar wird, den Russlandfeldzug, den guckt er sich nicht nur so zum Spaß an. Nein, der Oppa macht ´ne knallharte Videoanalyse! Kennt man ja von der Fußball-Nationalmannschaft. Guckt man sich alles hinterher noch mal in Ruhe an, damit man es beim nächsten Mal besser macht.
Aber natürlich wäre das nix mehr für den Oppa – da kann der Guido Knopp noch so viele Motivationsvideos drehen.
So alt wie der Knochen wird eh kein Schwein. Der Oppa ist nämlich so alt, „Ernte 23“ ist für den nicht bloß eine Zigarettenmarke, nein, das ist auch eine ganz schlimme Kindheitserinnerung!
Auch wenn der Nachmittag zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl ist, er geht vorbei.
Und nach all dem Getöse ist es dann doch ganz schön, wenn man die letzten Zuckungen des Festes zu Hause aushauchen kann - zusammen mit den Resten des brennbaren Trinkalkohols und „Stirb langsam 5“ auf RTL2.  
Unter der Einwirkung von Bruce Willis Schauspielleistung und einem gepflegten Hirnzellenmassakers, keimt in einem dann auch die Gewissheit auf, dass jetzt erstmal Schluss ist mit christlichen Feiertagen. Zumindest mal bis Ostern.
Denn dann feiert der Juniorchef ja schon wieder Geburtstag.