Donnerstag, 21. September 2017

Rotmännchen und der Wolf

Ich stehe an einer Fußgängerampel, weil sie ein rotes Männchen zeigt.
Neben mir haben sich zwei Schuljungen eingefunden, die mit ihren Tornistern und den daran festgezurrten Sportbeuteln eher wie zwei nepalesische Scherpa aussehen und nicht wie Zweitklässler.

Trotz ihrer Last warten sie geduldig mit mir auf das befreiende Ampelzeichen. Plötzlich schiebt sich eines dieser ehrenamtlichen Jack Wolfskin-Werbemaskottchen um die sechzig an uns vorbei und überquert ohne zu zögern, und ohne Notiz vom Rotlicht zu nehmen, die Straße.
Ich bemerke wie die beiden Jungen sich anschauen, etwas unsicher, ob sie es dem spätvitalen Outdoor-Recken gleichtun sollen. Vielleicht überlegen sie: wer auf dem Rücken seiner imprägnierten Jacke eine überlebensgroß aufgenähte Wolfstatze trägt, dem kann doch eigentlich gar nichts passieren.
Der weiß was er tut.
Ich sehe ich mich also gezwungen zu handeln, beuge mich zu den beiden Scherpas runter und sage, allerdings immer noch laut genug, dass es den Straßenlärm um uns herum gut übertönt: „Bei so alten Leuten ist es nicht schlimm, wenn die über rot laufen, die haben nämlich keine Eltern mehr die dann weinen müssen, wenn sie totgefahren werden. Deshalb wartet ihr besser immer auf Grün, okay?“
Beide Jungen nicken und machen dabei einen etwas ertappten, doch einsichtigen Eindruck.
Aber nicht nur die beiden haben meine Bemerkung gehört.
Die alte Wolfshaut kommt plötzlich kurz vor dem Erreichen der rettenden Ampelinsel, welche die Straße teilt, zum Stehen, dreht sich erbost um und setzt an, etwas in meine
Richtung zu rufen, macht auch schon den ersten Schritt zur Straßenmitte zurück – und wird im nächsten Augenblick von einem riesenhaften Audi Q8 über den Haufen gefahren.

Die Szene erinnert stark an eine aus Jurassic Park 1 bis 3, bei der einer dieser Expeditionsfuzzis einem rasenden Triceratops im Weg steht.
Auch den Jungs hat die Aktion wohl gefallen, denn beiden entfährt ein synchrones „Boah“ und sie zeigen sich sehr überrascht, wie gut man mit einer Multifunktionsjacke in der Luft liegt. Und die Vorteile des Survival-Jankers werden nach dem Aufprall auf dem Asphalt noch deutlicher. Von außen lässt sie keinen Regen und von innen offensichtlich kein Blut durch.
Dann fällt mein Blick auf den Fahrer des Ingolstädter Monstertrucks und als ich sehe, wie der versteinert hinter seinem Steuer sitzt, das Handy noch am Ohr, weiß ich, dass in puncto Verkehrserziehung heute alle etwas dazugelernt haben.
Der Tatzenmann weiß jetzt, dass man doch besser auf Grün wartet und er wird noch feststellen, dass man ohne Milz ganz gut leben kann.
Der Herr der Ringe hat gelernt, wie sinnvoll eine Freisprechanlage ist und dass 2,5 Tonnen auf Rädern nicht jedermanns Sache sind.
Die beiden Jungs wissen jetzt, dass sie ruhig glauben können, was ihnen ein fremder Onkel an der Ampel sagt.
Und ich habe gelernt, dass man Probleme einfach nur mal offen ansprechen muss – dann ergeben sie sich schon mal von selbst.

Musiktipp zum Text: "Accidents will happen"... (sag´ich doch)

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